Ende Februar gibt es keine Sonnwendfeuer. 

Ich klicke genervt die Fahrpausenerinnerung auf meiner Anzeigetafel weg. Seit ich die Grenze nach Rumänien übertreten habe, sehe ich sie immer wieder, bei den neugierigen Blicken in das Land, in dem ich zumindest eine gewisse Zeit verbringen will. Die Feuer auf den Hügeln rechts der Autobahn. Sie feiern, aber was? 

Wenige Tage später, nachdem ich eingezogen bin und die Nachbarn kennengelernt habe, rücke ich damit raus: „Wieso haben am Montag letzter Woche bei euch überall die Hänge gebrannt? War das ein Nationalfeiertag oder machen die Bauern gewohnheitsmäßig immer Feuer, wenn sie ihren Papiermüll verbrennen?“ 

So abwegig wäre das nicht, das habe ich in den Siebzigern mit meinem Opa auch immer gemacht, Papier auf dem Feld verbrennen. Und Rumänien heute erinnert vielfach, und das ist gar nicht abwertend gemeint, an die 70er und 80er bei uns. 

Ein Jahr später hätte ich mir die Frage glatt selbst beantworten können. 

„Nein, die Regierung hat kurz vorher ein Gesetz erlassen, gemäß dem man draußen nichts mehr verbrennen darf, keine Feuer mehr.“ 

Das ist alles. 

Keine Erläuterung, keine Rechtfertigung. Und für den Nachbarn ist das auch ganz klar. Mein Nachbar ist Rumäne, und seine Sicht der Welt weicht zu einem so massiven Grad von der des Deutschen ab, dass er bei dem Sachverhalt schlicht keine Unklarheit erkennen kann. Denn der Rumäne, und das lerne ich in den ersten Wochen gnadenlos geradlinig, hält sich nicht an Gesetze, deren Sinn sich ihm nicht erschließt. An Regeln, die ihm oberlehrerhaft vom Staat übergestülpt werden sollen. An Vorschriften, die seinen Nutzen nicht mehren. Das irritiert den Deutschen, der es immerhin jahrzehntelang gewohnt gewesen ist, dass die Regierung offenkundig und zweifellos seinen Nutzen mehrt. Fragt sich nur, zu wessen Gunsten. 

Ich kratze mich am Kopf. Jetzt interessiert’s mich. „Was machen eigentlich diese ganzen Kanister in deinem Kofferraum? Die sind doch voll, oder? Die hast du doch gerade geholt.“ 

Dabei stand auf meinem Routenplan, den ich mir für die Fahrt ausgedruckt hatte, dass es in Rumänien ohne Ausnahme verboten ist, sich mit Benzin oder Diesel in Kanistern zu bevorraten undc solche im PKW zu transportieren. 

„Wir hatten kürzlich einen Kraftstoffengpass. Zig Autos samt ihren Fahrern belagerten die Tankstelle, an der ich war. Und alle zapften Benzin in ihre mitgebrachten Kanister ab, was das Zeug hielt.“ Mit zufriedener Miene lehnt er sich an seinen VW, den Arm lässig auf dem Autodach. Er ist offensichtlich stolz auf seine Beute. 

„Ja, und wenn die Tankstelle die Polizei ruft und die das sieht?“, frage ich mit sehr, sehr deutschen, weit aufgerissenen Augen. 

„Tja, dann …“ Er nimmt den Arm vom Dach, stellt sich recht breitbeinig hin und schlägt, ominös, mit einem breiten Grinsen, mehrfach langsam mit der rechten Faust in die geöffnete linke Hand. 

Das ist auch hier wieder alles. 


Ich warte stumm und ganz deutsch auf eine nachgereichte, von belustigtem Gelächter begleitete War-ja-nurn-Witz-Bemerkung, ein Abwiegeln, beschwichtigend-beruhigende Handbewegungen. Aber nix.

Es ist, wie ich in den folgenden Monaten feststellen soll, eine vollkommen übliche Einstellung unter rumänischen Männern. Und selbst wenn nun der eine oder andere einwenden mag, dass man in Deutschland ja wohl genug über Osteuropa weiß, um sich das selber denken zu können! Und selbst wenn der Deutsche das ja irgendwie von einem Volk erwarten kann, das bis mindestens Ende der 80er genug unter der kommunistischen Knute gelitten hat, um sich eine entsprechend ausgeprägte Misstrauenshaltung gegenüber jeglicher Regierung zuzulegen:

Bei dem Bürger, der hier mit unmissverständlicher Körpersprache eine glasklare Ich-schlag-dir-die-Fresse-ein-Ansage gegenüber der Staatsmacht und ihrer Exekutive machte, handelt es sich immerhin um ein besonders hingebungsvolles Mitglied der Siebenten-Tags-Adventisten. 

Verwirrt, aber auch seltsam beschwingt und irgendwie hoffnungsvoll, begebe ich mich auf den Weg nach Hause. Es wird immer noch eine Zeit dauern, bis ich mich in diese Lebenseinstellung hineingefunden habe. „Irgendwie war das an dem Montag ja dann doch eine Feier“, fährt es mir durch den Kopf. Ich habe aber keine Zeit, mir darüber groß Gedanken zu machen. Auf meinem Küchentisch türmt sich der Papierkram bezüglich meiner geplanten Auswanderung. Ich mache mich lieber mal ran. Die deutschen Behörden bestrafen selbst die kleinste Verspätung empfindlich.


Bild: photosforyou, via Pixabay

Text: Copyright 2024 aufgmandlt.de, A. Mayer

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