Ich war beim Orthopäden. Kennen wir. Is nichts Weltbewegendes, meistens braucht man neue Schuheinlagen, irgendwas gegen Schleimbeutelentzündung am Ellenbogen oder man hat eben Rücken. Ich hatte Rücken, den ganzen Sommer und Herbst 2023. Und deshalb war ich beim Orthopäden, schon das zweite Mal.

Wie das klingt, „Ich war beim Orthopäden.“ Irgendwie verschwörerisch-geheimniskrämerisch. Wie „Pscht! Ich war beim Kartenleger. Pass auf! …“ oder „Pscht! Wir graben unter der Tiefgarage einen Tunnel nach Grönland“ oder „Psssst: Unsere Mandarinen sprechen nach acht Uhr abends miteinander Schwiitzerdütsch, wenn wir sie in die Schale mit den Äpfeln legen.“


Da ich viel von Eigenverantwortung halte, gerade im gesundheitlichen Bereich, frage ich ihn arglos, was ich noch machen könne, ob’s da irgendwelche Ressourcen gibt, Video, Buch, Anleitung, Berufsbereiche, irgendwas. Ich hatte schon so viel eigenes Geld in meine Rückwärtsalterung investiert, warum nicht jetzt auch mal im orthopädischen Bereich. Ich zähl also so auf.

Und der so: „Ja.“

Latscht zum Schreibtisch und schmiert irgendwas, was außer seiner ergeben-geduckten Sprechstundenhilfe eh keiner lesen kann, auf einen Block.

„Ja.“

Ich so, äh

Also „JA“, ja? Nach 30 Jahren Erfahrung mit den immer gleichen Krankheitsbildern is das alles? Kein Hinweis, kein Ratschlag, keine weitere Bemerkung?


JA.

Weil das hat der feine Herr nicht nötig.

Der feine Herr hat seine Schäfchen im Trockenen!
Der feine Herr ist arriviert!
Der feine Herr hat eine Approbation!
Der feine Herr bekommt seine Zahlungen pünktlich!
Der feine Herr „muss“ gar nichts!


Muss er auch nicht!

Muss er in Zukunft immer weniger, weil dieser bräsig-selbstzufriedene Schnösel vor lauter Grandiosität gar nicht RAFFT, dass über ihm grad eine riiiiiesige Abteilung komplementärer Heiler wächst, deren Erfolge schon daran messbar sind, dass die Leute sie freiwillig und gerne aus eigener Tasche bezahlen, selbst wenn sie knapp bei Kasse sind. Darüber möge der feine Herr einmal nachdenken, wenn er zwischendurch den Kopf aus dem … Handschuhfach kriegt. Wie seine Zunft dann ausschaut.

Das sollte ICH mir mal erlauben! Wenn mich einer auf meinem Gebiet um Rat fragt, und aufzählt, was er alles recherchiert und ausprobiert hat, um besser zu werden! JAAAAAAAAAAAA da sag ich dann auch mal „ja“ und dreh mich um. Da kann ich mich aber umschaun kann ich mich dann!!! Wenn ich mir das erlaub!!!

Naja zurück zum Tatort. Ich also, schlupf so in mein Kleid. „OK“, sag ich. „OK“, „be like that! Then BE LIKE THAT!“

„Dann mach ich das eben selber!“


Gibt’s genug Erfahrungsberichte im Netz! Machs ich halt!

Und dann der so, halb (echt nur halb) zu mir gedreht, in dieser unerträglich näselnden Stimme, diesem betont desinteressiert-sorglosen Tonfall: „Nein, können Sie nicht.“


Können Sie nicht.

Sagt der.

Können. Sie. Nicht.


Das ist ein Quäntchen zu viel. Das ist – ein – Schritt zu weit. Warte, Bürscherl. Jetz gherst ma.


Ich fahre rasend wie ein bestohlenes Totenkopfäffchen in meine Springerstiefel, fliege mit einem Drei-Meter-Satz an die Tür, deren Klinke der Mann eben im Begriff war niederzudrücken. Mit einem Ruck reiße ich ihn herum und knalle ihn zu Boden, die Springerstiefel auf dem Oberkörper, die Stahlplatten direkt unterm Kinn. Während ich die in die Höhe gezogenen Kragenenden in meinen Fäusten fest zusammenhalte, brülle ich ihn aus zwanzig Zentimetern Entfernung an: „Ich kann das nicht, ja? Hat Frodo den Ring ins Feuer von Mordor geschmissen, JA oder NEIN? Hat Harry Voldemort besiegt, JA ODER NEIN? Hat Schmendrick König Lear vernichtet? Na? NA? Was kann ich nicht allein? Sags nochmal, sags noch eiiiiiinmaaaaaaaal!“


Der Typ, nur noch ein Häuflein Elend, röchelt und hustet. Ich stehe langsam auf, beuge mich noch einmal hinab und schmettere ihn, deutliche Verachtung im Gesicht, orthopädisch korrekt am zerknitterten Kragen in die Ecke, wo schon weinend seine unterwürfige Sprechstundenhilfe kauert.


„Mit euch Pack bin ich fertig! Und jetzt erwartet Überwältigendes von mir! Watch me!“


Und damit fliege ich majestätisch auf meinem Besen aus dem sich magisch öffnenden Fenster, die Faust triumphierend in die Luft gestreckt.


. . .


Ich tu natürlich nichts davon. Stattdessen schlüpfe ich schnell in meine veganen Stiefelchen, fahr in mein bekapuztes Plüschjäckchen und wiesele in Harrys Unsichtbarkeitsumhang, den Eichhörnchenschwanz mutlos eingezogen, emsig aus dem Behandlungszimmer, das der „Arzt“ längst – grußlos – verlassen hat. Der Rezeptionsdame wünsche ich noch leise „Schöne Weihnachten“, was, wie immer öfter, mit einem Prunes-n-Prisms-Schnütchen, einer hochgezogenen Augenbraue und einem verkniffen-biestigen „Schöne FEIERTAGE“ quittiert wird. Ich bitte schuldbewusst flüsternd um Verzeihung und wische aus der Praxis.


Wieder mal das Maul gehalten. In meinen Alpträumen bekomme ich ominöse Anrufe, wo am anderen Ende der Leitung zunächst Stille herrscht, gefolgt von einem Schnaufen, und dann, in einer tiefen, dunklen, hallenden Stimme: „Frodo hätte ohne Sam GAR nichts gerissen. Harry hätte ohne Hermione ... –“

In den Minuten, in denen ich danach schweißgebadet wachliege, versichere ich mir immer wieder: Ja. Aber du bist nicht Sam. Du bist nicht Hermione. Du bist NUR ein selbstverliebter Dinosaurier. Und du wirst sterrrben und verderrrben. Ich werde dich niederringen und bezwingen. Möglicherweise nicht allein. Ganz sicher nicht allein! Aber bestimmt mit Hilfe, für die man keine Versicherungsleistungen kriegt. Weil das hat mir bei so was immer am besten geholfen.


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Bild: PublicDomainPictures via Pixabay

Text: Copyright 2024 aufgmandlt.de, A. Mayer


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