Vom Fitnessraum, der einen großzügigen Blick durch eine Glaswand auf eine Dachplatte freigibt, hat man einen Blick auf, naja, eben die Platte, Wäsche, die Leute aus den Fenstern gehängt haben, und einen Teil der südlichen Skyline der Stadt. Wenigstens nicht die Fußgängerzone! Das war ganz klar, diese zentral gelegenen Studios mit den ebenerdigen Trainingsräumen wären es nie, nie geworden, auch nicht mit 5 Euro im Monat und die ersten drei frei. Die machen bestimmt auch noch Aerobic. Ich rümpfe die Nase. Ich mache kein Aerobic. Ich mache jetzt Zumba! Denn Zumba ist leicht zu erlernen und stärkt Selbstbewusstsein, Körperbewusstsein und Souveränität. Beweise habe ich keine, aber raffiniertes Marketing ersetzt Erfahrung.

Die Trainerin strahlt uns mit einer verblüffend echt wirkenden Willkommensbegeisterung aus aufgerissenen kajalumrandeten Augen an, sie erinnert ein wenig an diese rundlichen New-Age-Gurus, feuerfest gewickelt in orangefarbene Großfamilienzelte und großzügige 15 Pfund Holzketten, die man für 290 Euro auf dem Himalaya umarmen muss, um dann fußaufwärts erleuchtet zu sein und viele andere Sachen, die ich nicht verstehe.

Weniger rundlich, aber echt fit. Ich will auch. Sind die andern fit? Ich schaue mich um. Ein paar Meter entfernt eine etwas behäbig wirkende Teilnehmerin mit Verband am Oberarm, aber der Blick? Ich äuge abschätzend. Sie äugt lauernd. Ich denke, Mafia. Eine Schusswunde? Womöglich bin ich hier in einem Geldwäscheladen gelandet, einem milieubekannten Unterweltschuppen. Sie wird mich irgendwann, möglicherweise auch nie, um einen Gefallen bitten. Nicht beruhigend. „Geh in ein Frauenstudio,“ haben sie gesagt, „da passiert dir nichts und keiner schaut dich schief an.“ Wir sprechen uns!

„MUUHF – MUUHF – MUUHF“ hallt es von der Fensterfront zu uns rüber. Ich habe den Einsatz verpasst. Meine Nachbarin hüpft mir auf die Füße. Meine Schuld. Sie sehen putzig aus, angewinkelte Arme, entschlossene Fäuste, große tappige Schritte. Ich hüpfe erschrocken zurück und lande in der Tanzbahn meiner Hintermännin. Leicht zu erlernen! „UUUND MUUHF – MUUHF – MUUHF“ jault die Trainerin begeistert in meine Richtung. Ich muuhfe pflichtschuldig mit, schnappe den Rhythmus auf, gerate versehentlich kurzzeitig in die vorgesehene Tanzbahn. Die Musik hämmert, bääm bääm, „UHUND JUMP! UHUND JUMP! ARME MITNEHMEN“ Ich bemühe mich, muuhfe im Dreieck, links, rechts, zurück, die anderen muuhfen rechts-links, „UND MUUHF RECHTS, SMAIL! HEY, YEY! SPASS! WIR HABEN SPASS! RUNTER – HOCH – MUUHF – UHUND JUMP!“, ich bemühe mich um Spaß, ich kugle in die andern, muuhfe in fremde Schienbeine, ziehe hastig BH-Träger, Strümpfe und Shortsbündchen hoch. Ein Wunder, meine Schnürsenkel sind noch nicht aufgegangen! Denke ich und stelle fest, sie sind fest verknotet mit denen meiner Nachbarin zur Rechten, bevor wir stolpern und ineinanderknallen. Selbstbewusst, körperbewusst, souverän. Die Trainerin zumbat durch den Saal wie ein aufgezogenes Knäuel mechanischer Welpen, zackig-begeistert in der Hocke, rauf-runter, links-rechts-links-vorwärts, die Ellenbogen schwungvoll werfend wie die Kurbeln einer Dampflok. Sie lacht, ich lache auch, meine Mafia-Nachbarin starrt böse.  

Die Trainerin muuhft links-rechts, strahlt, hat Spaß, „JUMP!“, jumpt, wir jumpen, sie mit Spaß, ich in die falsche Richtung. Die Jungs winken. Ich jumpe und strahle. Moment, wer winkt? Draußen auf dem Dach hat sich eine vierköpfige Truppe in Bikerjacken eingefunden. Sie halten Kärtchen hoch und lachen. Es sind Wertungskärtchen. Das ist die Jury. Dann jumpen wir besser als gedacht? Es sind Smartphones; ich rolle in meine Mafia-Nachbarin. Sie lässt mich nicht aus den Augen. Man kann hier Zumba auf die richtige Art machen, auf die falsche Art und auf ihre Art. Wird sie mich um einen Gefallen bitten? Die Trainerin hat Spaß. Sie hat auch noch den Kajal um die Augen. Was zum Teufel? Die Truppe mit den Smartphones hat Spaß. „MUUHF! – YES! HEY! JUMP – JUMP – JUMP – UUUND RUNTER – HOCH – ARME MITNEHMEN!“ Ich muuhfe vorwärts, nehme die Arme schwungvoll mit, auch diesmal fremde, die Besitzerin stolpert, ich muuhfe geistesgegenwärtig jumpend um sie herum und ramme, ebenfalls stolpernd, den Ellenbogen zielsicher in den Schusswundenverband der Mafia-Frau. „Ach, rechts! Haha, sollten wir rechts?“ Gutes Wetter machen. Ich jumpe zurück, die Truppe winkt und filmt. Ich winke nicht, jumpe verzweifelt im Dreieck und warte auf die versprochene Stärkung meines Selbstbewusstseins. Ich kugle, rolle, falle, die andern zwangsläufig hinterher, und lande endlich auf den Füßen, nicht meinen natürlich.

Die Stunde ist zu Ende. Wir nehmen jeder unser Handtuch und setzen uns Richtung Ausgang in Bewegung. Die Mafia-Frau richtet ihren Verband und schießt mir finstere Blicke zu. Ich kneife die Augen zusammen. Sie ist ein Profi, souverän wirkt sie auf jeden Fall, wenn sie mir jetzt eine reinhaut, hoffentlich vergisst sie die Arme.

In der Umkleide stelle ich erschöpft, aber erleichtert, fest, dass ich noch Schuhe anhabe. Wieder nicht die eigenen, zugegeben. „Hätte schlechter ausgehen können.“ Ich runzle die Stirn.  

Draußen erkennt mich einer aus der Smartphone-Truppe, sie winken. Ich muuhfe in einem Bogen und wähle den Weg zu Fuß durch die Innenstadt. Vor dem ebenerdigen Studio bleibe ich stehen und beobachte die Trainierenden durch die Scheibe. Aerobic scheint mir jetzt irgendwie attraktiv.

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Bild: stevepb via pixabay

Text: Copyright 2024 aufgmandlt.de, A. Mayer
 

 

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